Immer mit Helm?
In nahezu jeder Meldung der Polizei zu Unfällen mit beteiligten Radfahrern wird entweder darauf hingewiesen, dass der Betroffene einen Helm trug, der Schlimmeres verhinderte, oder dass er keinen Helm trug, dieser aber wohl Schlimmeres verhindert hätte.
Der offizielle Standpunkt ist offensichtlich: fahrradfahren nur mit Helm! Kürzlich gab es sogar ein Gerichtsurteil, nach dem Radfahrer ohne Helm künftig auf einen Teil ihres Schadenersatzes sitzen bleiben sollen. Sie hätten sich ja schützen können. Immer wieder wird auch über die Einführung eine Helmpflicht diskutiert. Wer heute noch ohne Fahrradhelm unterwegs ist, so könnte man meinen, riskiere bei jeder Fahrt mutwillig Leib und Leben.
So einfach ist es aber nicht. Denn die Wahrscheinlichkeit, in einen Fahrradunfall mit der Folge schwerer Kopfverletzungen zu geraten, ist in der Realität vergleichsweise gering. Und wenn es passiert, wird die Schutzwirkung der kleinvolumigen Styroporhelme oft gnadenlos überschätzt. Natürlich mag es Fälle geben, in denen der Helm bricht (das soll er) und der Kopf darunter heil bleibt. Helmgegner kennen dann aber stets auch Fälle, in denen ein Helm die Unfallfolgen sogar vergrößert hat und nennen zudem das Stichwort Risikokompensation: Trägt jemand einen Helm, so die Argumentation, wird er sich tendenziell riskanter verhalten und auch Autofahrer werden unbewusst beispielsweise dichter überholen. Ein weiteres Argument lautet: Viele würden das Rad lieber stehen lassen, statt einen Helm aufzusetzen, stattdessen wieder das Auto nehmen, mit den bekannten Folgen für Gesundheit, Umwelt und Verkehr(-ssicherheit). Besonders kurios an der Debatte: Fußgänger haben ein sehr ähnlich hohes Risiko, in solcherlei schwere Unfälle verwickelt zu werden wie Radler. Doch welcher Fußgänger würde um Himmels Willen auf die Idee kommen, auf dem Weg zum Bäcker oder beim Sonntagsspaziergang einen Helm aufzusetzen? Welcher Politiker eine Helmpflicht für Fußgänger überhaupt erwägen? Ein Wissenschaftler aus Münster hat das Thema nun umfangreich untersucht und die Argumente dabei – auf den ersten Blick mag das zynisch wirken – auf blanke Zahlen reduziert.
Sein Ergebnis: Mit einer Helmpflicht würde die Zahl der schweren Kopfverletzungen bei verunfallten Radlern wohl in der Tat sinken. Alle anderen Faktoren eingerechnet, also negative Folgen für die Gesundheit durch weniger Bewegung, Anschaffungskosten für den Helm, Komfortverlust, Umweltverschmutzung und ihre Folgen, etc., ergäbe sich jedoch eine gesamtgesellschaftliche Bilanz von Minus 278 Millionen Euro pro Jahr. Eine Helmpflicht sei daher abzulehnen, das Geld dafür sinnvollerweise in die Radinfrastruktur investiert. Das diene der Sicherheit aller. Über den Helm sollte hingegen jeder selbst entscheiden dürfen. Ein weiterer Beitrag zu einer seltsam emotional geführten Debatte.
Disclaimer: Auf dem Rennrad immer mit, in der Stadt meist ohne. Beides fühlt sich richtig an. Persönliche Statistik: drei leichte Fahrradunfälle in 30 Jahren: einmal Auto, einmal Hund, einmal anderer Radler. Alles ohne Kopfverletzung. Klopf, Klopf.