Serie Münsterland-Giro 2017 – Teil 4: Im Gespräch mit Bike-Fitterin Lotte Kraus

Frage: Lotte, Du kommst ja in der Radszene mächtig rum, kannst Du vorab kurz erklären, was Du da genau alles machst?
Ich bin Bike-Fitter, in schick kann man dazu auch Biomechaniker mit Schwerpunkt im Radsport sagen. Eigentlich mag ich unnötige Anglizismen nicht so gerne, aber die deutsche Übersetzung für „Cycling Analyst“ ist irgendwie irreführend. Hinter unserer Arbeit steckt nämlich mehr, als Fahrrad-Sitzpositionen einzustellen – wir arbeiten auch in Forschung, Lehre und Produktentwicklung. Mein Schwerpunkt ist die Ausbildung von Radsportexperten mit verschiedenen Hintergründen wie Sportmedizin, Physiotherapie, Fachhandel und Wissenschaft. Hierfür und um die Profi-Rennfahrer und -Triathleten im Trainingslager zu betreuen.
Frage: Wir haben in dieser Serie auch schon über Bike-Fitting und Komfort auf dem Rennrad für die „Jedermänner“ geredet. Nun sind ja mittlerweile erfreulicherweise auch immer mehr „Jederfrauen“ auf dünnen Reifen unterwegs. Nochmal an Dich als Expertin: Wie wichtig ist ein passendes und möglichst ideal eingestelltes Rad?
Eine optimale Sitzposition ist die Grundlage für uneingeschränkte Freude auf dem Rad – für Frau und Mann und vollkommen unabhängig von der Leistungsklasse. Wir haben immer mehr Kunden im Labor, die ihr Rad lediglich zum zur Arbeit fahren nutzen – das sind vielleicht nur 30 Minuten am Tag, aber auf Wochen und Monate gesehen dann doch eine ganz schön lange Zeit, wenn es irgendwo weh tut oder sich einfach „nicht gut“ anfühlt.
Frau profitiert allerdings von einem professionellen Bike-Fit meist noch deutlicher, da viele Radgeometrien, standardmäßig eingestellte Sitzpositionen oder anhand von Marketingaussagen ausgewählte Komponenten einen kritischen Blick verdienen. Unsere Forschungsergebnisse bestätigen, dass in der Regel bei allen Fahrern Optimierungspotenzial besteht, bei Amazonen allerdings in einem größeren Ausmaß.
Frage: Die Hersteller reagieren jedenfalls auf die erhöhte Nachfrage und bieten mittlerweile vermehrt auch „Frauenrennräder“ an: Marketing-Gag oder sinnvolle Investition?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt in der letzten Zeit recht „interessante“ Ansätze und Marken, bei denen das Frauenmodell lediglich teurer bei schlechterer Qualität daherkommt. Grundsätzlich muss man sagen: das Rad muss zum Individuum passen, manchmal passt eine „sogenannte“ Frauengeometrie gut, manchmal ist sie genau das Falsche.
Frage: Und, praktisch gesprochen: Die üblichen verdächtigen Kontaktstellen mit dem Rad? Also Füße, Hände, Po und Schambereich, wenn es da bei der einen oder anderen Fahrerin unterwegs mal kribbelt, drückt oder brennt – kannst Du da aus Deiner Erfahrung noch gute Tipps oder Ratschläge geben?
Die üblichen Verdächtigen sind eine zu hohe Sitzhöhe und ein zu weit hinten montierter Sattel. Aber, gerade bei kleinen Fahrerinnen, auch eine zu weite Reichweite zum Lenker oder zu aggressive Sattelüberhöhung zum Lenker kann diese Probleme verursachen. Erst wenn die Sitzposition ideal ist, kann man den Sattel beurteilen und feststellen, ob auch er eine Beschwerdeursache darstellt.
Frage: Bei uns Jungs ist das Thema „Style“, also Rennradoutfit, ja zugegebenermaßen echt manchmal eins von nicht geringer Bedeutung. Wie siehts da bei Euch Mädels aus? Lieblingsklamotten?
Unbedingt! Gute Radkleidung ergibt aus ergonomischer Sicht sehr viel Sinn. Aber ich muss eingestehen, dass mir das Aussehen des Rad-Kits auch sehr wichtig ist. Diese Faktoren gehen bei guter Produktentwicklung aber Hand in Hand: Gut verarbeitete Trikots und Hosen haben keine einschneidenden Nähte sondern breite Gummiabschlüsse. Das sieht wahnsinnig gut aus und fühlt sich auch so an.
Letze Frage: Noch ein Ratschlag für Fahrerinnen, die am 3. Oktober zum allerersten Mal bei einem Rennen am Start stehen?
Ein Tipp ist, nicht aus Torschlusspanik oder im Wettkampfwahn kurz vorher noch irgendetwas zu kaufen und dann im Wettkampf „auszuprobieren“. Neu erworbene Komponenten wie ein Sattel oder Schuhe oder auch Riegel und Sportgetränke müssen im Training getestet werden.
Ein fahrtechnischer Tipp für Neulinge: Sucht euch eine besonnene Gruppe, in der ihr euch mit der Fahr- und Umgangsweise wohl fühlt. Und das ganze Rennen lieber erst Mal langsamer angehen lassen und dafür auf den letzten 20km nochmal richtig Gas geben können, als am Anfang alle Körner zu verpulvern und sich dann erschöpft durch den Wettkampf zu quälen.
Vielen Dank!
Hinweis: Die Serie ist zunächst erschienen in der HALLO.