Gegen alle Regeln
Traditionell stellt man ein Rennrad über die Maße „Innenbeinlänge“, „Knielot“ und „Unterarmlänge“ auf den Fahrer ein. Dennoch bekommen viele Hobbyisten auf längeren Strecken – wie dem Münsterland Giro – oft die klassischen „Rennradlerschmerzen“ an Händen, Füßen, im Nacken und am Hintern. Dass das nicht sein muss, erklärt mir Michael Killermann von der Münsteraner Firma gebioMized, einem Unternehmen, dass sich auf das Thema „Bikefitting“ spezialisiert hat, also der optimalen Sitzposition von Radsportlern auf ihrem Sportgerät. Ein Hausbesuch.
„Das, was du meinst, sind halt Faustformeln, und sicherlich immer noch besser, als sich einfach irgendein Rad aufschwatzen zu lassen. Aber jeder Mensch ist eben auch anders …“, er mustert mich kurz von oben bis unten, „…du zum Beispiel hast überdurchschnittlich lange Oberschenkelknochen und schon allein deswegen sind die Formeln bei dir dahin! Was wir hier heute machen, ist dynamisches Bikefitting mit einem Gesamtansatz für genau deine Bedürfnisse.“ Die, so bestätigt sich auf der Turnmatte schnell, die eines ziemlich Unbeweglichen sind. Gar kein Problem, beruhigt mich Killermann, müsse er nur wissen.
Dann die Videoanalyse: Das Rad wird eingespannt, der Sattel mit einem Sensorkissen überzogen, ich bekomme ein paar Aufkleber aufgeklebt und ab geht’s: Es darf geschwitzt werden. Und dabei immer freundlich in die Kamera lächeln, die meine über Jahre antrainierten Marotten nun gnadenlos dokumentieren wird.
Überraschung Nr. 1) im Anschluss: Auf dem Rad sitzen tue ich gar nicht mal so verkehrt. „Von 100% würde ich dir glatte 80% geben, nicht schlecht“, lobt mich der Experte. In der Bewegung zeigen sich aber auch die Fehler: Mein Sprunggelenk klappt unnötigerweise ein, ich verschenke also Leistung. Außerdem wabbelt mein rechtes Bein ziemlich abenteuerlich von innen nach außen, und mein Becken könnte auch gleichmäßiger arbeiten. Infolgedessen habe ich auf dem Rad eine deutliche links-rechts-Asymetrie. Die man ihrerseits auf dem Satteldruckbild ablesen kann, wo zudem nicht viel von meinen Sitzknochen zu sehen ist, die eigentlich meine Hauptlast tragen sollten. Die folglich auf den Händen landet, weshalb ich im Schulterbereich verkrampfe.
Puh, also offenbar doch Großbaustelle? Überraschung Nr. 2: Nein! Killermann werkelt etwas an meinen Schuhen, dreht leicht an Lenker und Bremsen herum, verschwindet kurz um die Ecke und montiert – etwas tiefer und weiter vorne als zuvor – mal diesen, mal jenen Sattel, schickt mich zwischendurch immer wieder zurück auf das Rad … und hat mir nach ein bisschen Probieren eine gute Stunde später – das Video beweist es – sämtliche Macken ausgetrieben. Auf dem Heimweg dann auch im Reality-Check: Besser habe ich mich nie auf einem Rad gefühlt. Gegen alle Regeln.
Der Artikel erschien zuerst in der HALLO Münster vom 19.6.2016 und ist der zweite Teil der Serie »Sparkassen Münsterland GIRO.2016«. Hier geht es zu Teil 1 zum Thema RTFs…
2 Gedanken zu „Das Rennrad perfekt eingestellt – im Bikefitting“
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