Brandenburger Tor

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Brandenburger Tor

In dieser Woche war ich zusammen mit Freund und Mitstreiter Kai Winkelmann (@patcash) anlässlich der re:publica 2013 zu Besuch in Berlin. Wir hatten die Gelegenheit, das Geschehen am Rande länger zu diskutieren und sind zu ziemlich dem gleichen Eindruck gelangt. Kai hat das sehr treffend aufgeschrieben, weshalb ich mir das spare und seinen Text mit freundlicher Genehmigung hier veröffentliche.

re:publica 2013

von Kai Winkelmann

Diesjähriges Motto: in / side / out. Meine Lesart: Die Netzgemeinde will sich nicht mehr abgrenzen, nicht mehr als geschlossener Bereich gelten, der für eine Beteiligung mediale Kompetenz voraussetzt sondern sich im gesellschaftlichen Alltag der User verankern und für alle nutzbar und zugänglich sein.
Leider gelingt es nicht so ganz, die Besucherströme (rekordverdächtige 5.000 Karten sollen angeblich im VVK abgesetzt worden sein) beim Check-In so zu lotsen, dass der Eintritt halbwegs flüssig abläuft. So beträgt die Wartezeit mittags um 12 eine halbe Stunde.
Der Innenbereich kommt ziemlich kommerzialisiert daher, da gibt es einen Stand der comdirect-Bank, Daimler ist da, pixoona und als weiterer Partner die Firma Microsoft. Neben der PR ist dem Anschein nach auch Recruiting die vorrangige Absicht des Engagements vor Ort.

Die Vorträge sind äußerst vielfältig: Es geht z. B. um Social („Von Social Media Management zu Social CRM“), Technik („Die Geschichte des Computers“), NGOs („E-Partizipation für NGOs – Chancen und Risiken online“), Theorie („Immer dieses Internet!“), Politik („Zivilkapitalismus -Wir sind die Wirtschaft!“), Gesellschaft („Facebook – Vom Revolutionsmacher zum Revolutionsgegner“) usw. – mal mehr mal weniger bezogen auf das (zumindest ursprünglich mal) zentrale Sujet: Das Bloggen.

Die scheinbare Stärke durch Vielfalt hat aber auch zur Folge, dass es keine erkennbaren, inhaltlichen und konzeptionellen Grenzen gibt. Die re:publica wirkt thematisch ausgefranst, ein Ziel ist nicht deutlich. Auch Comdirect, Daimler und Konsorten verwässern das Image: Ist die re:publica eine kommerzielle Messeveranstaltung oder noch die Zusammenkunft von wirklichen Idealisten, deren Hauptanliegen ein offenes und sicheres Netz für Alle ist?

Und ja: Die re:publica und ihre Macher brauchen ein Ziel. Dringend. Sascha Lobo hielt einen bemerkenswerten Vortrag, in dem er deutlich machte, dass die Netzgemeinde („Hobby-Lobby für ein freies, offenes und sicheres Internet“) ihre Ziele im politischen Betrieb nicht durchsetzen konnte. Das Leistungsschutzrecht oder die Aufhebung der Netzneutralität werden über die Köpfe der Netzaktivisten hinweg entschieden und die Netz-Akteure werden bei der Entscheidungsfindung nicht konsultiert. Zum einen liegt das wohl am desolaten Zustand der politischen Stimme im Berliner Politikbetrieb, den Piraten, aber andererseits sieht Lobo eben auch die Netzgemeinde in der Verantwortung, denen das Pathos fehle.
Um die Interessen durchzusetzen solle man sich die Frage stellen: „What would Merkel do?“ (In Anlehnung an Jeff Jarvis „What would Google do?“). Damit ist gemeint, eine Argumentation zu entwickeln, die zu den eigentlichen Zielen der politischen Entscheider passt und weniger Argumente des Widerstands enthält und damit per se eher sperrig zu vermitteln sein dürften. Merkel und Kollegen sollten für die Interessen der Netzaktivisten entscheiden, um sich dadurch wiederum selbst einen politischen Vorteil zu verschaffen. Und das soll durch die Netzgemeinde vorbereitet werden.

Ob diese nun mit Lobos Auftrag überfordert sind oder nicht: Die re:publica sollte dem Bemühen um die Durchsetzung netzpolitischer Ziele einen organisatorischen und inhaltlichen Rahmen geben, denn diese Veranstaltung ist immer noch die wichtigste in Deutschland. Ablenkung von dem Ziel, ein offenes, sicheres und freies Netz als Chance zu etablieren ist kontraproduktiv.